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Autor Thema: Leseprobe: Kurzgeschichtensammlung 'Des Nachts'  (Gelesen 3554 mal)
Taaya
Burgbewohner
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« am: So, 10. Juni 2012, 22:05 »

Es war mitten in der Nacht und wenn gerade keine Wolke den Himmel bedeckte, schien der Mond bleich und grell durch die bunt bemalten Fenster in den Raum. Wie ein Gespenst, das einen die ganze Nacht über betrachtete und still überlegte, wie es einen zu Tode erschrecken konnte. Doch er rührte sich keinen Millimeter.
Kaum ein Geräusch war zu hören, nur eine Eule rief in der Ferne ab und an in die Nacht hinein und mal raschelte die Decke, die die feinen Atemgeräusche des kleines Kindes dämmte, das im Bett lag und vermutlich von einer Welt voll Einhörnern und Regenbögen träumte.
 
Ein leises Kratzen ertönte und der Deckel der Spielzeugkiste schob sich ein Stück beiseite, Millimeter für Millimeter. Ein dünner Faden wurde über den Rand geworfen und eine Barbiepuppe in einem schwarzen Tarnanzug kletterte aus der Kiste hervor und blickte sich um. Noch ein Blick zum Frisierkopf im Regal, der ihr leicht zunickte und schon klopfte Barbie leise gegen die Kiste, in einem ganz bestimmten Rhythmus. Plötzlich kam Leben ins Zimmer. Leben, das kein menschliches Auge jemals entdeckt hatte, außer in den eigenen Träumen.
 
Der schwarze Tarnanzug wurde ausgezogen und in einen Rucksack gestopft, woraufhin die Barbiepuppe einen pinken Petticoat und ein weißes Tshirt trug. Aus der Kiste hinter ihr kamen nun noch diverse andere Barbies, ein paar Kens, Babypuppen, eine Pippi Langstrumpfpuppe, und ein paar Plüschtiere, vor allem Ponys und Einhörner, die die kleineren Puppen auf ihren Rücken klettern ließen.
 
Sie alle bezogen Aufstellung am Bett und warteten. Und warteten. Und warteten. Endlich drehte sich das Kind unter der Decke um, und ihr Anführer konnte sich aus seinen Armen winden und sprang vom Bett, um sanft auf allen Vieren zu landen und sich dann aufzurichten. Andere hätten ihn sicher nicht zum Anführer gewählt, zumal er nicht sonderlich gefährlich oder beeindruckend aussah, aber hier war er, Chef einer großen Gruppe: Der rosa Teddy!
 
„Besondere Vorkommnisse“, fragte er in einer für seine Farbe absurd tiefen, brummenden Stimme, die Menschen nicht einmal hören könnten, wenn sie wach wären, den Ken in Armeekleidung. Dieser schüttelte den Kopf. „Alles ruhig. Gibt es Neuigkeiten von den Menschen?“
Der Teddy, der rund um die Uhr von seinem Mädchen durchs Haus getragen wurde, war die größte Informationsquelle, die sie hatten. Er saß beim Frühstück mit am Tisch, ging mit in den Kindergarten, sogar aufs Klo musste er mit - weshalb er heimlich ziemliche Angst davor hatte. Was Kinder so alles Stinkendes dort tun konnten!
 
„Wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat die Mutter wieder einmal die Waschmaschine über Nacht laufen lassen“, meinte der Teddy in verschwörerischem Ton und zwinkerte mit seinen großen, braunen Augen seinen Kameraden zu. Sie alle wussten, was das hieß.
 
„Ansonsten gibt es nichts besonderes. Im Kindergarten gehen die Masern um. Das heißt, unser Mädchen könnte demnächst vielleicht zuhause bleiben. Dann werden wir häufiger genutzt. Und der Vater und die Mutter haben ihren Streit von letzter Woche beigelegt. Nun lösen sie Barbie und Ken als Traumpaar ab.“
Von den Barbies kam ein verächtliches Schnauben. Niemand würde sie jemals überbieten können, das war doch gar nicht möglich. Immerhin waren sie und die Kens für einander erschaffen. Konnten Menschen das auch von sich sagen? Und sie hatten eine Figur, von der manch Frau träumte. Zumindest ihrer Meinung nach.
 
Der Teddy ignorierte das Schnauben der blonden Puppe und auch die kurzen, abfälligen Blicke ihrer Schwestern und zeigte mit dem flauschig-weichen Arm zur Tür. Das Zeichen für alle, dass es langsam Zeit war, aufzubrechen.
 
Nachdem sie durchgezählt hatten, ob alle da waren, und der Frisierkopf mit einem Augenaufschlag der stark geschminkten Lider und türkisen Wimpern grünes Licht gegeben hatte, ging es los. Die Kens warfen ein Seil hoch zur Türklinke, die Barbies ein zweites. Während die Kens sich ans Seil hängten, um damit die Klinke runter zu ziehen, zogen die Barbies die nun bewegbare Tür auf, nur einen kleinen Spalt weit. Gerade so, dass auch das größte Plüscheinhorn sich irgendwie durchquetschen konnte. Zum Glück sorgten sie selber immer dafür, dass die Tür gut geölt war - also wieder die Plastikpuppen, denn sie konnten sich schnell abwischen, während die Plüschtiere in die Waschmaschine gemusst hätten, um die Öltropfen von ihrem Fell zu kriegen.
 
Die Tür drückten sie danach wieder soweit zu, dass kaum mehr zu sehen war, dass sie nicht ganz geschlossen war. Schließen konnten sie Türen nicht. Es würde doch zu laute Geräusche machen, wenn Holz auf Holz prallte. Außerdem würde dafür jemand draußen bleiben müssen, um die Tür von außen zuziehen zu können und dann würde erst recht auffallen, dass sie nachts unterwegs waren. Außerdem konnte die angelehnte Tür eh nicht das Mädchen wecken, denn Licht konnte durch den Spalt nicht hineinfallen. Das ganze Haus war nachts dunkel.
 
Gut, einmal war es aufgefallen, dass die Tür nicht geschlossen war, als sie das Mädchen weckte, während sie sich sicher war, dass die Tür zu war, als sie selber ins Bett ging, aber sie dachte nur, ihre Tochter wäre nachts auf Toilette gewesen und war dabei so schlaftrunken, dass sie das am nächsten Morgen nicht mehr wusste. Ein Verdacht aufs Spielzeug war bisher noch nie geäußert worden.
 
Wieder einmal blickten sie sich um. Die Erwachsenen schliefen wohl auch. Es war ja auch nicht Wochenende. Dann mussten sie manchmal die ganze Nacht im Zimmer bleiben, weil der Vater gerne abends vor dem Fernseher einschlief, und er dann immer aufwachen konnte, wenn ein plötzliches Geräusch aus der Flimmerkiste ertönte. Aber unter der Woche mussten die beiden früh schlafen, um am nächsten Morgen wach genug für die Arbeit zu sein. Es konnte nur sein, dass einer der Eltern nachts auf Toilette musste, aber das kam zum Glück nur relativ selten vor. Und wenn, dann hatten sie ein eigenes Bad. Nur, wenn beide gleichzeitig auf Toilette mussten, kam einer hier herunter und brachte die nächtlichen Ausflüge in Gefahr. Aber selbst das war bisher immer gut gegangen.
 
Nun standen sie wieder im Flur. Gut 30 Plüschtiere, mehrere Puppen, dazu die Barbies. Sie sahen fast wie eine kleine Armee aus, auch wenn von dieser Armee sicher nicht allzu viel Bedrohung ausging. Jedenfalls nicht für Menschen.
 
Plötzlich öffnete sich eine weitere Tür, was sie nur sahen, weil das eine Einhorn ein nachtleuchtendes Horn hatte. Sie nannten es Rudolf - auch wenn es nicht die Nase war, die leuchtete. Der Name passte eben einfach.
 
Und dann standen sie sich gegenüber. Links die Armee aus dem Mädchenzimmer, rechts eine Armee aus Spielzeugautos, Actionfiguren, die Comics entstammten, bewegliche Soldatenfiguren, ein paar Plüschtiere und ein kleiner Spielzeugroboter.
 
Sie starrten einander an, regungslos. Selbst die Puppen, die blinzeln konnten, taten es nicht. In dieem Moment hätten selbst die Spielzeuge eine Feder fallen hören. Dann trat der rosane Teddy vor, ging auf die Gruppe aus dem Jungenzimmer hinüber und blickte deren Anführer direkt in die Augen: Einem blauen Teddy. Und kurz darauf lagen sie sich in den Armen. Zwei Brüder, tagsüber durch eine dicke Wand getrennt - und dadurch, dass der etwas ältere Junge seinen Teddy nicht mehr mitnahm, und der blaue Teddy so nicht mehr aus dem Zimmer herauskam.
 
Nun ging ein Ruck durch die zwei Gruppen. Zwar sahen sie sich fast jede Nacht, aber dennoch schien es eine Tradition zu sein, dass sich erst die beiden Brüder begrüßten, bevor die anderen den ersten Schritt des Abends auf einander zu wagten. Bisher hatte noch nie jemand das Bedürfnis verspürt, diesen Ablauf zu verändern – und es würde sich vermutlich auch niemand trauen, denn jeder wusste, dass das Wort der Bären Gesetz war, und wer sie verärgerte, schneller seine Strafe bekam, als er den Versuch wagen konnte, zu fliehen.
 
Doch nun vermischten sich die beiden Gruppen und die Stille wurde von leisen Gesprächen unterbrochen. Nur die Barbies blieben unter sich. Sie hatten kein Interesse an den Soldaten und Action-Helden aus dem Jungenzimmer. Außerdem hatten sie ihre Freundinnen und Partner eh bei sich. Wieso sollten sie sich dann mit den anderen abgeben? Denen, die weniger perfekt geformt waren? Nicht, dass das noch ansteckend war …
 
Eigentlich wollten sie gerade losziehen, in Richtung Waschküche, da hörten sie ein dumpfes Geräusch aus dem Jungenzimmer, eine Art Schubbern oder Schleifen. „Nicht schon wieder“, brummte der blaue Teddy und schob sich zurück in den Raum, eine Menge anderer hinter sich, da auch sie wissen wollten, was geschah.
 
Der Ausgangspunkt war ein etwa 80 Zentimeter großer Berg Plüsch, der sich erst bei genauerer Betrachtung im Mondlicht als Rottweiler entpuppte. „Hector, hör auf damit. Du weckst noch den Jungen auf“, ermahnte der blaue Teddy den Hund ein wenig ärgerlich, doch dieser hielt dem starren Blick seines Anführers stand. „Ich will aber auch mit“, erwiderte er in einem Ton, der an ein Kind erinnerte, dessen Mutter gerade gesagt hatte, es dürfe keine Schokolade aus dem Supermarkt haben – das diese aber dennoch wollte. Zu lange in einem Kinderzimmer zu leben, steckte leider manchmal an. „Immer geht ihr raus, und ich muss hierbleiben. Ich will auch Spaß haben.“
„Aber du kannst nun einmal nicht laufen“, meinte der Teddy genervt. Und tatsächlich, Hector war eines dieser Plüschtiere, die das Pech hatten, in einer sitzenden Position festgenäht zu sein.
„Ich habe es aber einfach nur noch satt, alleine hier zurückzubleiben und mich zu langweilen. Das ist doch doof.“
„Abeer du biest doch gar nischt allein“, ließ sich nun eine Stimme aus der Luft vernehmen. Eine Möwe aus Holz hing über dem Kopf des Rottweilers und flatterte mit den Flügeln. An ihrem Bauch hing ein Faden, mit dem der Junge ebenfalls für Flatterbewegungen sorgen konnte, wenn er das wollte.
 
„Genau, Jacques bleibt doch ebenfalls hier. Dann hast du Gesellschaft“, griff der blaue Teddy den Punkt auf und hoffte, dass das ausreichte, um wieder eine Nacht lang eine Katastrophe abzuwenden, aber weit gefehlt.
„Gesellschaft? Von dem blöden Franzosen da oben? Der rieselt mich immer wieder mit Staub voll, das zeigt doch schon, was für ein liebenswürdiger Bursche er ist“, grollte Hector und versuchte, seinen Kopf gen Himmel zu heben. Als Antwort flatterte Jacques erneut und eine große Staubflocke landete auf der Nase des Hundes. „Siehst du? Siehst du, was das für einer ist? Mit dem könnt ihr mich noch nicht alleine lassen.“
 
Ein Kopf streckte sich durch den Türspalt herein, und eine samtige Stimme mischte sich ein. „Freunde, nicht streiten. Wir sind doch alle eins. Wir sind Spielzeug. Macht Liebe, nicht Krieg, Brüder.“ Alle Köpfe, die sich drehen konnten, blickten auf den Ursprung. Ein pinker Plüschkörper mit Pferdekopf und einem leuchtenden Glitzerhorn. Entsprechend waren auch die Blicke, die ihm galten. Man konnte sehen, dass keiner es wirklich für voll nahm. Sie alle dachten nur eins: ‚Es ist pink. Es glitzert. Und es LEUCHTET IM DUNKELN.‘ Das war ungefähr so schlimm, wie in der dreizehnten Klasse als Schülerin in der Sportumkleide mit Hello Kitty-Unterwäsche gesehen zu werden: Ein gesellschaftliches Todesurteil.
 
Entsprechend reagierten auch Jacques und Hector. Beide fletschten die nicht vorhandenen Zähne – beziehungsweise den Schnabel – und knurrten: „Halt’s Maul, Pinkie, und lass die Erwachsenen reden.“ Mal mit, mal ohne Akzent. Aber dennoch hatte der Einsatz des Einhorns seinen Dienst getan, denn sofort finden Möwe und Hund an, über das arme Tier herzuziehen, und waren plötzlich in ihrer Abneigung vereint – was die anderen nutzen, um sich leise davon zu machen, damit Hector nicht doch noch auf die Idee kam, mitzuwollen.
Gespeichert
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